16.05.2015

Warum ich das Buch nicht fallen lasse

Bemerkungen zu einem Text von Georg Winter in “what’s next?”
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Vorbereitende begriffliche Unterscheidungen -
Perspektive der ersten Person und der dritten Person

Ich, du, er, sie, es. Es geschieht leicht, dass man das verwechselt. Das gleiche gilt für innen und außen - auch hier gerät man schnell in Verwirrung. Zumindest dann, wenn es um die Betrachtung des Körpers geht; des eigenen, sowie der fremden.
In der Philosophie ist es üblich, zwischen der Perspektive der ersten Person (singular) und der Perspektive der dritten Person zu unterscheiden. Die Perspektive der ersten Person wird oft auch als Innenperspektive bezeichnet - was leider zu einer begrifflichen Verwirrung führen kann. Nehmen wir zur Klärung einen Klassiker der philosophischen Literatur. Zu großer Berühmtheit hat es Thomas Nagels Aufsatz “Wie ist es, eine Fledermaus zu sein” gebracht. Mit diesem Text hat sich die einfache und für das Themenfeld einschlägige Formulierung “wie es ist” durchgesetzt - dort heißt es: “Die Tatsache, daß ein Organismus überhaupt bewusste Erfahrung hat, heißt im wesentlichen, daß es irgendwie ist, dieser Organismus zu sein.”
Damit ist die Perspektive der ersten Person auf eine einfache Formel gebracht: Wir frieren nicht nur, es ist für uns auch irgendwie, zu frieren. Auch andere Wesen erleben die Welt in besonderer Weise: Die Fledermaus nimmt die Welt mithilfe einer Echolotung wahr und vermutlich ist es für sie irgendwie, ihre Umgebung so wahrzunehmen.
Nehmen wir nun an, ein Naturwissenschaftler untersucht unsere Fledermaus. Ein Blick in ihr Inneres mag ihm zwar vieles zeigen - aber auch ihre Innenperspektive? Er mag das Gehirn der Fledermaus bis in die letzten Details betrachten, aber er kann damit nicht in Erfahrung bringen, wie es für die Fledermaus selbst ist, eine Fledermaus zu sein. Der Naturwissenschaftler betrachtet die Fledermaus mit seinem (begrifflichen und sonstigen) Instrumentarium aus der Perspektive der dritten Person - die Perspektive der ersten Person entgeht ihm damit, da damit nicht erfasst wird “wie es ist”, dieses besondere Lebewesen zu sein.

Innen/Außen

Der Naturwissenschaftler kann zwar in das “Innere” der Fledermaus schauen, aber bekommt damit nicht ihre Innenperspektive in den Blick. Die Rede von Innen und Außen kann hier - wie man sieht - leicht zu Missverständnissen führen. Spricht man von der Innenperspektive, dann ist damit keineswegs das “Innere” des Körpers gemeint: Körperorgane, Zellen und selbst die elementarsten Bausteine sind der Perspektive der dritten Person zugänglich. Einschlägig dafür ist Leibniz Mühlengleichnis:
"Man muß übrigens notwendig zugestehen, daß die Perzeption und das, was von ihr abhängt, aus mechanischen Gründen, d. h. aus Figuren und Bewegungen, nicht erklärbar ist. Denkt man sich etwa eine Maschine, die so beschaffen wäre, daß sie denken, empfinden und perzipieren könnte, so kann man sie sich derart proportional vergrößert vorstellen, daß man in sie wie in eine Mühle eintreten könnte. Dies vorausgesetzt, wird man bei der Besichtigung ihres Inneren nichts weiter als einzelne Teile finden, die einander stoßen, niemals aber etwas, woraus eine Perzeption zu erklären wäre." Leibniz, Monadologie, §. 17.
Wer in Leibniz’ Mühle eintritt und sie von Innen her betrachtet, nimmt dennoch die Perspektive der dritten Person ein, wenn man so will: die Außenperspektive. Die Innenperspektive (d.h. die Perspektive der ersten Person) wäre der Mühle vorbehalten, falls sie über Bewusstsein verfügt.

Perspektive der zweiten Person

Ich sprach von: Ich, du, er, sie, es. Um das auf die Reihe zu kriegen, will ich die beiden bisherigen Perspektiven um die Perspektive der zweiten Person ergänzen. Damit will ich (allein für die wenigen Zeilen, die ich hier schreibe) unsere Fähigkeit zum “Mindreading” bezeichnen.
Mit Mindreading, also “Gedanken lesen” ist gemeint, dass wir in aller Regel fähig sind, zu erkennen, dass andere Wesen (ebenso wie wir selbst) geistige Zustände wie Gefühle, Wünsche und Überzeugungen haben. Wir sehen oft unmittelbar, was andere planen, fühlen und manches mehr …

wird fortgesetzt